Offener Brief an den Bürgermeister wegen Stadtwache

Wir dokumentieren hier folgenden offenen Brief, entstanden aus einem Erlebnis mit der Stadtwache im Umgang mit einem Bettler auf der Landstraße. Es zeigt einmal mehr, wie dieses Organ von der Politik dazu benutzt wird, nicht erwünschte Personengruppen aus der Stadt zu verdrängen. Ob dies mit oder ohne gesetzlicher Grundlage geschieht, ist der Politik anscheinend egal. Die Grenzen sind jedenfalls – so die erlebte Praxis – eher schwimmend. Teilweise werden Gesetze geschaffen, um auf rechtlicher Basis zu agieren (zwei Novellen des oö. Polizeistrafgesetzes, div. Beschlüsse im Gemeinderat, siehe Chronologie), teilweise wird aber auch über das gesetzlich erlaubte Maß hinaus agiert. Auf alle Fälle sind „Sittenwächter“-Organe, wie die Stadtwache, einer liberalen, toleranten und offenen Gesellschaft unwürdig und wohl eher Ausdruck sozialer Verrohung.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

vergangenen Samstag habe ich erlebt wie Mitarbeiter des Linzer Ordnungsdienstes einen vor der Ursulinenkirche sitzenden Bettler ganz selbstverständlich aufforderten, seinen Reisepass vorzuweisen („Hallo, Passport!“). Einer zückte auch gleich Notizbuch und Stift – augenscheinlich, um die Daten aufzunehmen.

Dazu wäre festzuhalten, dass sich dieser Mann absolut nicht aggressiv oder sonst wie auffällig verhielt. Selbst ein Exekutivbeamter muss meines Wissens immer abwägen, ob die engen gesetzlichen Voraussetzungen für eine Identitätsfeststellung [1] gegeben sind. Wie kann es sein, dass der Ordnungsdienst in Linz anscheinend mehr Freiheiten genießt als unsere „echte“ Polizei?

Bislang nahm ich irrtümlich an, der Ordnungsdienst habe – abgesehen von Parkraumüberwachung vielleicht – keine Kompetenzen, die über jene eines gewöhnlichen Staatsbürgers hinausgingen. So wurde mir das als Linzer zumindest ursprünglich mal verkauft.

Wenn ich jetzt Leute frage, dann kennt sich keiner mehr aus: Stadtrat Wimmer behauptet auf meine Twitteranfrage, so eine Passkontrolle sei rechtens [2]; andere sagen, das gelte ausschließlich für illegale und aufdringliche Bettelei; andere wieder: es gelte neuerdings für jeden Bettler; dann heißt’s wieder, das sei zwar im neuen Oö. Polizeigesetz vorgesehen, dieses gelte aber erst ab Verlautbarung frühestens im Oktober. Und dann gibt’s noch die Ansicht, dass, egal was Linz beschließe, Passkontrollen immer ausschließlich der Exekutive vorbehalten seien…

Sehen Sie mein Problem?

Die Mitarbeiter des Ordnungsdienstes treten in einer Form auf, die jeden Beobachter verunsichert, welche Exekutivbefugnisse sie nun – auch gegenüber Nicht-Bettlern – haben, oder nicht. Und auf den Seiten der Stadt Linz gibt es dann zum Ordnungsdienst nur allgemeine Informationen [3], aber keinerlei konkrete Auflistung und Abgrenzung der Rechte und Pflichten. Als Bürger fühle ich mich hier völlig im unklaren gelassen.

Es geht da auch längst nicht mehr um die Bettler-Thematik. Ich finde es als Staatsbürger schlicht unerträglich, wenn in Linz fragwürdig geschulte Mitarbeiter einer GmbH (!) auf der Landstraße patrouillieren und hier öffentlich Reisepasskontrollen vornehmen dürfen.

Ich frage mich, was hat die Stadt Linz hier gestartet und wohin soll das führen? Ich hoffe, Sie wissen es besser als ich.

Mit freundlichen Grüßen

Hans Kirchmeyr

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[1] Identitätsfeststellung: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40154241/NOR40154241.html

[2] Stellungnahme Stadtrat Wimmer: https://twitter.com/dewi_linz/status/511172655538765824

[3] Ordnungsdienst-Homepage: https://www.linz.at/politik_verwaltung/54799.asp