BürgerInneninitiative zur Ordnungsdienst-Bilanz 2014

Statt Jubel sprechen genug Gründe für die Auflösung der Stadtwache!

Der Linzer „Sicherheitsstadtrat“ Detlef Wimmer (FP) hat heute in einer Presseaussendung und -konferenz eine sehr positive Jahresbilanz bezüglich Linzer Ordnungsdienst gezogen. Die BürgerInneninitiative „Linz braucht keine Stadtwache“ sieht das etwas anders und weist auf ein paar Details hin, die bei der offiziellen Bilanzpräsentation wohlweislich unterschlagen wurden.

So wurde vom Sicherheitsstadtrat nicht erwähnt, dass der Ordnungsdienst der Stadt Linz (OSL) im März 2014 breiter Kritik ausgesetzt war, als bekannt wurde, dass im OSL-Büro ein Bild eines Mitarbeiters mit NSDAP-Zitat aufgehängt war. Ehemalige MitarbeiterInnen berichteten damals auch von selbsternannten “Bettlerjägern, die auf alle hinfahren, die irgendwie osteuropäisch und arm aussehen”. Anderen Mitarbeitern wurde vorgeworfen, mutwillig Schlägereien provoziert zu haben. Bei Beschwerden bei den Vorgesetzten über illegalen Taten von Kollegen haben die ehemaligen MitarbeiterInnen nur zu hören bekommen, „dass alles seine Richtigkeit hat und man mit niemanden von außen sprechen soll“. Der Sicherheitsstadtrat hat diese Vorfälle damals geleugnet, welche jedoch von der OSL-Geschäftsführung bestätigt wurden.

Des Weiteren gibt es immer wieder auch Kritik am Vorgehen der StadtwächterInnen bei Einsätzen. So berichteten auch 2014 AugenzeugInnen vom fehlenden „Fingerspitzengefühl“ bei Amtshandlungen der StadtwächterInnen. Auch sind Fälle bekannt, wo über das gesetzlich erlaubte Maß hinaus agiert wurde. Etwa haben OSL-MitarbeiterInnen Identitätsfeststellungen bei still bettelnden Menschen in der Innenstadt vorgenommen, was zum damaligen Zeitpunkt noch nicht erlaubt war. (Die Gemeinde Linz hat die Befugnis zur Identitätsfeststellung bei „legalem Betteln“ erst im Oktober 2014 eingeführt.)

Michael Schmida, Sprecher der BürgerInneninitiave gegen die Stadtwache: „Mit allen Mitteln versucht Stadtrat Wimmer das Tun und Schaffen seines „Law and Order“-Organs zu rechtfertigen. Dazu fordert er immer wieder neue Gesetze und Befugnisse für die Stadtwache. Auf Druck der FPÖ wurde im Jahr 2014 das Bettelverbot trotz Kritik von Menschenrechts- und Sozialorganisationen verschärft. Aktuellster Rechtfertigungsversuch ist die Kontrolle der gebührenfreien Kurzparkzonen durch den OSL. Verschwiegen wird jedoch, dass die Stadt Linz wohl zu viel günstigeren Konditionen andere Organe für die Überprüfung der gebührenfreien Kurzparkplätze auf dem Stadtgebiet einsetzen könnte.“

Angesichts der kritischen Stadtwache-Bilanz fordert Schmida einmal mehr die Auflösung des Ordnungsdienstes: „Auch im fünften Jahr des Bestehens haben sich die Kritikpunkte an der Stadtwache nicht erledigt. Der Linzer „Ordnungsdienst“ ist noch immer das Spielzeug eines „Law-and-Order“ Politikers aus dem rechten Eck. Er löst keine Probleme, sondern schafft mehr! Er kostet viel Geld und ist demokratie- und gesellschaftspolitisch gefährlich, darüber kann auch der aktuelle Einsatz als Parksheriffs nicht hinwegtäuschen!“

Offener Brief an den Bürgermeister wegen Stadtwache

Wir dokumentieren hier folgenden offenen Brief, entstanden aus einem Erlebnis mit der Stadtwache im Umgang mit einem Bettler auf der Landstraße. Es zeigt einmal mehr, wie dieses Organ von der Politik dazu benutzt wird, nicht erwünschte Personengruppen aus der Stadt zu verdrängen. Ob dies mit oder ohne gesetzlicher Grundlage geschieht, ist der Politik anscheinend egal. Die Grenzen sind jedenfalls – so die erlebte Praxis – eher schwimmend. Teilweise werden Gesetze geschaffen, um auf rechtlicher Basis zu agieren (zwei Novellen des oö. Polizeistrafgesetzes, div. Beschlüsse im Gemeinderat, siehe Chronologie), teilweise wird aber auch über das gesetzlich erlaubte Maß hinaus agiert. Auf alle Fälle sind „Sittenwächter“-Organe, wie die Stadtwache, einer liberalen, toleranten und offenen Gesellschaft unwürdig und wohl eher Ausdruck sozialer Verrohung.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

vergangenen Samstag habe ich erlebt wie Mitarbeiter des Linzer Ordnungsdienstes einen vor der Ursulinenkirche sitzenden Bettler ganz selbstverständlich aufforderten, seinen Reisepass vorzuweisen („Hallo, Passport!“). Einer zückte auch gleich Notizbuch und Stift – augenscheinlich, um die Daten aufzunehmen.

Dazu wäre festzuhalten, dass sich dieser Mann absolut nicht aggressiv oder sonst wie auffällig verhielt. Selbst ein Exekutivbeamter muss meines Wissens immer abwägen, ob die engen gesetzlichen Voraussetzungen für eine Identitätsfeststellung [1] gegeben sind. Wie kann es sein, dass der Ordnungsdienst in Linz anscheinend mehr Freiheiten genießt als unsere „echte“ Polizei?

Bislang nahm ich irrtümlich an, der Ordnungsdienst habe – abgesehen von Parkraumüberwachung vielleicht – keine Kompetenzen, die über jene eines gewöhnlichen Staatsbürgers hinausgingen. So wurde mir das als Linzer zumindest ursprünglich mal verkauft.

Wenn ich jetzt Leute frage, dann kennt sich keiner mehr aus: Stadtrat Wimmer behauptet auf meine Twitteranfrage, so eine Passkontrolle sei rechtens [2]; andere sagen, das gelte ausschließlich für illegale und aufdringliche Bettelei; andere wieder: es gelte neuerdings für jeden Bettler; dann heißt’s wieder, das sei zwar im neuen Oö. Polizeigesetz vorgesehen, dieses gelte aber erst ab Verlautbarung frühestens im Oktober. Und dann gibt’s noch die Ansicht, dass, egal was Linz beschließe, Passkontrollen immer ausschließlich der Exekutive vorbehalten seien…

Sehen Sie mein Problem?

Die Mitarbeiter des Ordnungsdienstes treten in einer Form auf, die jeden Beobachter verunsichert, welche Exekutivbefugnisse sie nun – auch gegenüber Nicht-Bettlern – haben, oder nicht. Und auf den Seiten der Stadt Linz gibt es dann zum Ordnungsdienst nur allgemeine Informationen [3], aber keinerlei konkrete Auflistung und Abgrenzung der Rechte und Pflichten. Als Bürger fühle ich mich hier völlig im unklaren gelassen.

Es geht da auch längst nicht mehr um die Bettler-Thematik. Ich finde es als Staatsbürger schlicht unerträglich, wenn in Linz fragwürdig geschulte Mitarbeiter einer GmbH (!) auf der Landstraße patrouillieren und hier öffentlich Reisepasskontrollen vornehmen dürfen.

Ich frage mich, was hat die Stadt Linz hier gestartet und wohin soll das führen? Ich hoffe, Sie wissen es besser als ich.

Mit freundlichen Grüßen

Hans Kirchmeyr

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[1] Identitätsfeststellung: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40154241/NOR40154241.html

[2] Stellungnahme Stadtrat Wimmer: https://twitter.com/dewi_linz/status/511172655538765824

[3] Ordnungsdienst-Homepage: https://www.linz.at/politik_verwaltung/54799.asp

Rohe Bürgerlichkeit und soziale Vereisung

Betrachtungen zum Gemeinderatsantrag für einen Zivileinsatz der Linzer Stadtwache gegen BettlerInnen

Seit 2001 untersuchen WissenschaftlerInnen aus Deutschland in einer Langzeitstudie mit dem Namen Deutsche Zustände die Ausmaße, Entwicklungen und Ursachen von Vorurteilen. Das Ergebnis ihrer Forschung sehen sie in einer bedenklichen Zunahme „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ und in einem „kulturlosen und verrohenden Bürgertum“.

Auszug aus dem Dringlichkeitsantrag der ÖVP bei der Gemeinderatssitzung am 23.5.2013

Auszug aus dem Dringlichkeitsantrag der ÖVP bei der Gemeinderatssitzung am 23.5.2013


Der Dringlichkeitsantrag der ÖVP bei der Linzer Gemeinderatssitzung am 23.Mai 2013 hat diese Analyse leider einmal mehr bestätigt. Die Linzer Schwarzen forderten Bürgermeister Dobusch auf seine Weisung zurückzunehmen und Stadtwache-Operationen ohne Uniform wieder zu erlauben. (siehe Faksimile rechts) Zielgruppe dieser Zivilkontrollen sollten die BettlerInnen vornehmlich aus Südosteuropa sein. Der Linzer Gemeinderat lehnte die Forderung der ÖVP jedoch mit einer Mehrheit aus SPÖ, Grüne und KPÖ ab. Die SPÖ argumentierte damit, dass es nie einen Auftrag für Observationen in Zivil gegeben hat und die Uniformen einen festen Bestandteil der Stadtwsche darstellen. Grüne und KPÖ sind ohnehin gegen die Stadtwache, ihre Ablehnung war deshalb vorhersehbar.

Populistischer Wettlauf mit der FPÖ

Bezeichnend an solchen Debatten, die sich um das Thema Kriminalität, Innere Sicherheit und Migration drehen, ist die Rolle der Linzer Stadtbürgerlichen. Seit der letzten Gemeinderatswahl im Jahr 2009 findet anscheinend eine Auseinandersetzung mit der Rechtsaußenpartei FPÖ um die Themenführerschaft auf diesem Gebiet statt. Die Argumentationsmuster und Statements unterscheiden sich kaum mehr. Es findet ein erschreckender Populismus-Wettstreit zwischen den beiden Parteien statt. Wer versucht dieser autoritären Mischung aus Kontrollieren, Vertreiben und Strafen mit kritischen Argumenten zu begegnen, bekommt von FPÖ wie auch ÖVP nur aggressive Selbstgewissheit zu spüren. Nach dem Motto: Je kühler und unmenschlicher die Forderungen, umso forscher und herablassender das Eintreten. Eine rationale, sachliche Diskussion auch über die negativen Folgen einer solchen Sichtweise geht im emotionalen Eifer unter – so geschehen auch bei der Gemeinderatssitzung am 23. Mai.

Ruf nach repressiven Maßnahmen

Die Konstruktion von Feind- und Drohbildern spielt dabei eine bedeutende Rolle. Menschen aus Süd- und Osteuropa, die hier betteln, sind nicht in erster Linie arm, sondern entweder sie selbst oder die „Hintermänner“ kriminell. Sie werden als „skrupellos“ und „organisiert“ etikettiert. Die Medien unterstützen und reproduzieren diese Bilder. Die Beifügung „Bande“ oder „Mafia“ gehört auch in den Zeitungen zur Normalität. Journalistische Sorgfaltspflicht und Verantwortung, z.B. Behauptungen und Meinungen zu überprüfen und differenzierter zu betrachten, haben keine Chance. Ist ein bestimmtes Bild einmal gezeichnet, fordern Medien dann meist genauso wie die „Law and Order“-Politik Taten. Eine ängstliche Öffentlichkeit will, dass hier und jetzt etwas geschieht. Die Konsequenz daraus: Es darf und kann kein Erbarmen für bestimmte Menschengruppen geben. Und jedeR der/die sich dieser Politik in den Weg stellt, will Böses für die Menschen bzw. zumindest für die Mehrheit, in deren Namen sich in Parteien und Redaktionen gesorgt wird. Genau so funktionieren aber auch moderne Faschismen: In der emotionalen Spaltung und Gegeneinanderführung werden die Ärmsten, Schwächsten und Fremdesten zur Bedrohung hochstilisiert, während eine solche Form der Herrschaft im Namen der „Guten“ aus dem „einfachen Volk“ spricht. Wer da nicht mitmacht und kritische Fragen stellt, ist gegen „das Volk“, für Kriminalität oder lässt sie zumindest zu – ist also tatenlos, naiv und schwach.

Zerstörerische Wirkungen für eine humane und tolerante Gesellschaft

Die MacherInnen der Studie „Deutsche Zustände“ stellen fest, dass vor allem die mittleren bis höheren Schichten der Gesellschaft in Zeiten der Verunsicherung die Solidarität mit den unteren Klassen aufkündigen und auf Ellbogenmentalität umschalten; dass also die bisherige tolerante Bürgerlichkeit durch eine „rohe“ ersetzt wird:

„Diese rohe Bürgerlichkeit lässt sich in ihrer Selbstgewissheit nicht stören: Die Würde bestimmter Menschen und die Gleichwertigkeit von Gruppen sind antastbar.“

Und sie kommen zum besorgniserregenden Schluss:

„Eine auf längere Sicht zerstörerische Entwicklung sowohl für Individuen als auch für eine liberale und humane Gesellschaft ist dann gegeben, wenn sich menschenfeindliche Einstellungen und Verhaltensweisen zeigen [ … ] Menschenfeindlichkeit wird erkennbar in der Betonung von Ungleichwertigkeit und der Verletzung von Integrität.“

Kultur der Solidarität statt der Kontrolle

Die populistischen Forderungen nach mehr Kontrolle und die Betonung der Ungleichheit findet vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Individualisierung der Gesellschaft statt. Der Kriminalitäts- und Sicherheitsdiskurs zeigt anschaulich diese Entwicklung, in dem sowohl die Beschreibungen und Erklärungen der Opfer- als auch die der Täterseite individualisiert werden. Bei den Tätern wird nicht nach den möglichen Ursachen noch nach Möglichkeiten einer Beseitigung oder Veränderung gefragt, sondern Kriminalität wird allein zur individuellen Entscheidung für das Unrecht und gegen das Recht erklärt. Aber auch die Identifizierung mit dem Opfer und die Forderung nach harten Vergeltungs- und Strafmaßnahmen folgt einer weitgehend individualisierten Sicht. Solidarität, Austausch und kollektive moralische Empörung funktionieren in einer hochgradig mobilen, individualisierten und entsolidarisierten Gesellschaft viel zu oft nur mehr über die individuelle Identifikation mit individuellen Schicksalen. Das Leiden des Kriminalitätsopfers steht sinnbildlich dafür. Die instrumentalisierenden und inhumanen Diskurse der Rechten und zum Großteil auch der Medien stellen zumindest das Gefühl der Gemeinsamkeit auf Kosten der Freiheit, Solidarität und Menschenrechte wieder her. Diese für Gesellschaften elementaren Werte hingegen zu schützen und zu verteidigen, sowie Möglichkeiten einer gemeinsamen, wechselseitigen und menschenwürdigen Kommunikation über den emotionalen Affekt hinaus zu schaffen, ist die andere – unsere – Antwort.

Detektive überwachen die Überwacher – ein Kommentar

Laut einem Zeitungsbericht in den Oberösterreichischen Nachrichten haben Detektive im Auftrag der Geschäftsleitung die Stadtwache-MitarbeiterInnen observiert.

Was soll man davon halten? Da observiert ein Arbeitgeber seine eigenen MitarbeiterInnen. Ein nicht gerade feiner Zug. Aber das passiert leider viel zu oft in der Arbeitswelt und passt insbesondere in die Logik dieser Einrichtung – nämlich auch die Kontrollierenden zu kontrollieren. Wenn im Bericht der OÖN aber unterschwellig die Botschaft mitschwingt, die fehlende Einsatzbereitschaft hänge mit den fehlenden Kompetenzen der StadtwächterInnen zusammen, dann ist das genau die falsche Botschaft!
Die BürgerInneninitiative „Linz braucht keine Stadtwache“ hat schon vor über einem Jahr – im Zuge eines Gemeinderatsantrags für die Auflösung der Stadtwache – eine Weiteranstellung der MitarbeiterInnen in sinnvollen und fairen Jobs gefordert. Es gäbe genug vernünftige und gesellschaftlich wertvolle Arbeit in dieser Stadt zu machen. Das Überwachen, Nachschnüffeln und Drangsalieren gehört da sicher nicht dazu. Eine populistische, einseitige Politik hat vor allem für sich selbst ein Law-and-Order-Organ geschaffen. Die dort Eingesetzten müssen einer sinnlosen Tätigkeit nachgehen, nur weil sich rechtsrechte Politiker in ihrer Sicherheitshysterie nichts mehr wünschen als patroullierende Uniformierte die für „Sauberkeit und Ordung“ sorgen. Der beste Beitrag für diese Stadt ist das Ende der Stadtwache! Nicht nur für die BürgerInnen, sondern auch für die Beschäftigten der Stadtwache.